++ [Artikel zu Naturschutz] ++

 

28.11.2003

 

aus aktuellem Anlass:

 

Bunker und Stollen: Schandfleck oder Öko-Nische?

Sein Bau verwandelte die deutsche Westgrenze von Brügge bei Aachen bis nach Lörrach in Südbaden in eine gigantische Baustelle: Der Westwall. - Ein Konglomerat von mehr als 20 000 Bunkern, Panzerwerken und Stollen, von Minenfeldern, Höckerlinien und Panzergrä­ben, gedacht als „Bollwerk“ gegen den „Erbfeind im Westen.“ Hitler, der den Befehl zum Bau des Sperrgürtels gab, feierte die Anlage als „gigantischstes Befestigungswerk aller Zeiten.“ Bei Pirmasens erreichte der Westwall eine Tiefe von 25 Kilometern. Allein zwischen Pirmasens und Zweibrücken gab es rund 900 Bunker.

Heute sind nur noch Ruinen übrig: Gesprengter Beton, verrostete Armierungseisen, eingestürzte Stollen... Um diese traurigen Überreste ist, 40 Jahre nachdem die Alliierten den Westwall schliffen, erneut ein heftiger Kampf ausgebrochen: Umwelt- und Naturschützer fordern die Erhaltung der Überbleibsel. Für sie sind die ehemaligen Kampfanlagen zu Schutzräumen für Tiere und Pflanzen geworden. Roland van Gyseghem, Diplom-Biologe im Pfalzmuseum für Naturkunde, Bad Dürkheim, sieht die Bedeutung der Ruinen so.: „Sie sind - ähnlich wie Fußgängerinseln für den verkehrsgestreßten Fußgänger - Rettungsinseln für Tier und Pflanzen, die sich noch in unseren Feldfluren bewegen.“ Deshalb sei es „unverantwortlich, auch nur einen der Bunker einzuebnen.“ Sekundiert werden die Ökologen von den amtlichen Naturschützern bei den Landespflege­behörden. So vertritt der Beigeordnete der Stadt Zweibrücken, Günter Hög, den Standpunkt, „daß die Entfernung dieser An­lagen einen nicht ausgleichbaren Eingriff in Natur und Landschaft darstellt“, der aus Sicht der Landespflege in der Regel abzulehnen ist. Ähnlich schallt es aus den Landespflegebeiräten in Pirmasens, bei der Bezirksregierung in Neustadt, und aus dem Umweltministerium in Mainz.

Die politischen Parteien geben dieser Position in seltener Einmütigkeit Rückendeckung: „Die Öko-Nischen in den Westwallbunkern müssen erhalten bleiben“, forderte erst jüngst der umweltpolitische Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, Clemens Nagel. Sein Kollege von der CDU-Fraktion, der Zweibrücker Abgeordnete Jürgen Kroh, hatte bereits vor zwei Jahren den Bundesfinanzminister aufgefordert, den Geldhahn für die Bunkerbeseitigung zuzudrehen, weil mit den Ruinen gleichzeitig die „Lebensräume von Pflanzen und Tiere zerstört würden, deren Erhaltung andernorts ebenfalls durch öffentliche Mittel angestrebt wird.“

Denkmalschützer, die die Ruinen als Zeugen der Zeit erhalten wollen, runden die Reihen der Westwall-Verteidiger ab.

Die Gegenreaktionen blieben nicht aus. Vertreter der Bundesvermögensämter, die die Westwallreste verwalten, warfen den Umweltschützern vor, der Schutz der Natur ginge ihnen vor Menschenleben. Die Ruinen seien „Müllhalden“, die „gefährliche Entstehungsherde von Krankheitserregern und Brutstätten von Ungeziefer“ seien und außerdem spielende Kinder an „Leib und Leben“ gefährden würden. Auch die Pfälzische Bauern- und Winzerschaft mochte beim Bunkerschutz nicht mitspielen: „Die Bunker und Höckerlinien, die eine landwirtschaftliche Bewirtschaftung wesentlich beeinträchtigen, wenn nicht gar gefährden, müssen 50 Jahre nach ihrem Bau beziehungsweise 40 Jahre nach Kriegsende beseitigt werden.“ Die Landwirte seien beim Bau des Verteidigungswerks nicht gefragt worden und heute sei es wieder so, heißt es in einer Presseerklärung des Bauernverbands. Der Chefredakteur einer westpfälzischen Tageszeitung argwöhnt schließlich, wer die gesprengten Bunker im Pfälzerwald erhalten möchte, wolle lediglich dem „bisschen Tourismus ein Bein stellen.“ Sein Fazit: „Adolf Hitler würde sich im Grabe herumdrehen.“

Was sind sie nun, die Bruchstücke des „germanischen Limes“, Schandfleck oder Schutzbunker für bedrohte Natur ?

Entstehung

Am 7. März 1936 ließ die nationalsozialistische Reichsregierung zum ersten Mal Truppen marschieren: Die Pfalz, bis dato - wie große Teile des gesamten Rheinlands - entmilitarisierte Zone, wurde von der deutschen Wehrmacht wieder in Besitz genommen. Direkt im Anschluss daran begann, was Hans-Frieder Baisch, Chefredakteur der Pirmasenser Zeitung, einmal den „letzten Wirtschaftsboom in der Westpfalz“ nannte: Das „Bauvorhaben West“, die Errichtung des Westwalls.

Den Bau übernahmen zunächst Festungspioniere nach Plänen des Generals Otto-Wilhelm Förster. Vorgesehen waren rund 22 000 Bauwerke und eine Bauzeit von 12 Jahren. 

In der Pfalz verlief der Westwall vom Stadtrand Zweibrücken über Walshausen, Windsberg, Winzeln, Obersimten, Eppenbrunn, Fischbach, Bundenthal, Niederschlettenbach, Reisdorf, Oberotterbach, Niederotterbach, Steinfeld, Schaidt, Büchelberg, bis zum Rhein bei Hagenbach. Zwischen Niederschlettenbach und Eppenbrunn gab es eine zweite, nördlich verlaufende Linie, über Bruchweiler-Bärenbach. Ein besonderer Schwerpunkt der Grenzbefestigung war der Bereich von Lautzkirchen bei Blieskastel bis zum Kettrichhof bei Pirmasens, ebenso wie die Linie Oberotterbach bei Bad Bergzabern bis Schaidt am Rande des Bienwalds. Dagegen waren Pfälzerwald und Bienwald nur schwach befestigt.

Die strategische Anlage des Westwalls beschreibt der Diplom-Ingenieur und ehemalige General Max Stiotta so: „Der Grundgedanke war, längs der Grenze - möglichst an Flüssen - eine durchlaufende befestigte Zone anzulegen. Die wichtigsten Punkte sollten die stärksten Werke (A-Werke) erhalten, die Zone querenden Straßen sollten durch mittlere Werke (B-Werke) gesperrt und das Gelände vor und zwischen diesen Werken durch schwache Bauten (C-Werke) geschlossen werden.

Die C-Werke waren Mauerkasematten mit einem Maschinengewehr, das aus einer frontal wirkenden Scharte schießen konnte. Mauer- und Deckenstärken waren sicher gegen die 15 cm-Haubitze. Die B-Werke waren zweistöckig, hatten auf Deck zwei 6-Scharten-Panzertürme mit je zwei Maschinengewehren. (...). Durch das Deck wirkten noch ein Maschinengranatwerfer und ein drehbarer Flammenwerfer. (...).

Die B-Werke waren im Innern sehr gut ausgebaut und auch für einen Kampf im Inneren mit Panzertüren für jeden Raum ausgestattet, wohl in Erinnerung an die Kämpfe vor Verdun. (...).

Die A-Werke waren gleich den B-Werken ausgerüstet, aber Panzer und Beton waren stärker.“ (Aus: „Befestigung, Österreichische Militärische Zeitschrift“, Sonderheft 1967, zitiert in: Johannes Nosbüsch, „Damit es nicht vergessen wird..“, Pfälzische Verlagsanstalt).

In der Pfalz sind 22 B-Werke bekannt. Sie konnten durchaus auch drei Stockwerke oder tiefer in den Boden gesenkt sein. In über 30 Räumen konnten sie bis zu 100 Soldaten beherbergen. Sie hatten Räume für Munitions- und Lebensmittelvorräte, Küchen, Sanitätsräume, einen Maschinenraum, Funkzentralen und Fallgruben an den Eingängen. Durch Größe und Ausstattung sind sie so etwas, wie moderne Ritterburgen aus Beton und deshalb - so weit vorhanden - noch als Ruinen die „Attraktion“ des Westwalls. Ein Vertreter der Inspektion der Festungen verglich sie in einem Vortrag 1938 mit „Panzerschiffen, die vor Anker liegen.“ Ursprünglich war geplant, die B-Werke an ein Stollensystem - ähnlich wie bei der französischen Maginotlinie - anzuschließen. Die Stollen wurden aber in den seltensten Fällen entsprechend den Planungen fertig gestellt. Weit fortgeschritten, war ein Stollensystem im Gersbachtal bei Niedersimten. Dort waren auf zwei Stockwerken 9 Kilometer Hohlgänge und eine Kaserne mit 3 bis 4000 Metern Stollen geplant. Am 17. Juli 1940 waren von den 9 000 Metern Stollen, die mehrere B-Kleinstwerke und Kampfanlagen mit Schartenkuppeln und das B-Werk Obersimten verbinden sollten, rund 4 000 Meter vorangetrieben und etwa 3 Millionen Reichsmark verbaut. Betoniert waren nur 850 Meter. (Walter Werhan, „Westwall und Maginotlinie 1939“, Pfalzatlas). Weitere Hohlgangsysteme gab es im Raum Zweibrücken. Anderswo, wie in Oberotterbach, blieb es bei Planungen.

Bis 1938 hatten die Festungspionierstäbe rund 900 Anlagen errichtet. Der nationalsozialistischen Reichsregierung war dies nicht ausreichend. Ihre politischen Pläne verlangten ein schärferes Tempo, denn  nach dem Anschluss Österreichs an das deutsche Reich und der Forderung der Nationalsozialisten an die Tschechoslowakei, das Sudetenland abzutreten, war ein Krieg mit den Westmächten nicht mehr auszuschließen. Am 16. Mai 1938 kritisierte Hitler bei einer Besprechung auf dem Berghof den bisherigen Ausbau der Westgrenze vernichtend. Er hielt die Bauweise der militärischen Fachleute für zu schwach und zu aufwendig. In einer „Denkschrift zur Frage unserer Festungsanlagen“ zog er die Linien neu. Er wollte, so Walter Werhan, „eine tief gestaffelte Massierung stark gebauter Bunker“, flankiert von Kampfanlagen, deren Schussfeld sich überschnitt, damit sie sich gegenseitig decken konnten. Die bisherige Idee, der Besatzung „die möglichst ungefährdete Bedienung der Waffen unter Panzerschutz zu ermöglichen“ wurde über Bord geworfen. Ziel war es nun, „das gegnerische Feuer aufzusplittern und die Kampfkraft der Truppe unter Beton“ bis zum Gegenschlag zu erhalten. Denn, so Hitlers Credo, „der Deutsche ist im Angriff besser“.

Am 28. Mai erließ Hitler den Befehl zum „verstärkten und beschleunigten Ausbau der Westbefestigung“. Am 9. Juni 1938 bereiste Generalfeldmarschall Hermann Göring persönlich die Westgrenze, um sich ein Bild zu verschaffen. Am gleichen Tag wurde Dr. Fritz Todt mit der Baudurchführung beauftragt. Todt, Mitbegründer des NS-Bundes Deutsche Technik, war Straßenbaufachmann und 1933 zum „Generalinspekteur für das deutsche Straßenwesen“ ernannt worden. Unter seiner Leitung und nach seinen Plänen entstanden die Reichsautobahnen. Nach der selben bewährten Organisation wurde nun der Bunkerbau betrieben, verwandelte sich die gesamte Westgrenze in eine einzige, riesige Baustelle. Das neue Ziel war die Schaffung eines „Kampffeldes für die Abwehrschlacht an der Westgrenze bis zum 1.10.1938“, also in wenigen Monaten. Das war nur durch den massenhaften Einsatz von Arbeitskräften und die Verwendung von einfachen, genormten Bauformen, die nach Bedarf variiert werden konnten, möglich. Die „Organisation Todt“ benutzte zum ersten Mal in der Baugeschichte in großem Umfang vorgefertigte Bauteile. So wurde die Bautechnik ausgerechnet beim Bunkerbau revolutioniert.

Die Ruinen

Der Westwall, für die Ewigkeit gebaut, liegt heute in Trümmern und mit ihm die Wahnvorstellungen der Nationalsozialisten von Unangreifbarkeit, Unbesiegbarkeit, absoluter SicherheitDie französische Besatzungsmacht sprengte nach Kriegsende kurz und bündig Bunker für Bunker, Stollen für Stollen. Die geborstenen Decken, die verstreuten Betonbrocken mit den verrosteten Armierungseisen, von Farnen, Hecken, Sträuchern und Bäumen überwuchert, gehören noch heute zum Bild des Grenzlands.

Die Geschichte der „Siegfried-Linie“ ist mit ihrer Zerstörung nicht beendet. Jedes Jahr, wenn die Schönwetterperiode beginnt, stapfen große und kleine Kommissionen durch Wälder und Felder, mit Akten unterm Arm und in heftigem Hader über die Zukunft der Ruinen versunken.

Der „Germanische Limes“ und was von ihm übrig geblieben ist, fiel als ungeliebtes Erbe an den Rechtsnachfolger des Deutschen Reichs: die Bundesrepublik Deutschland. Allerdings gehören ihr nur die Ruinen, nicht aber der Grund und Boden auf dem sie stehen. Der Bund ist für den Zustand der ehemaligen Verteidi­gungsanlagen verantwortlich und er haftet für Schäden an Leib und Leben, die durch die Ruinen verursacht sind, so will es das Allgemeine Kriegsfolgengesetz. Die Haftung für Sachschäden, von der zerrissenen Hose eines Wanderers bis zur Kuh, die beim Grasen in einen Bunker stürzt, schließt das Gesetz aus.

Gleich zwei Bundesministerien und ihre Behörden sorgen sich für die „Verkehrssicherheit“ der Westwall-Trümmer. Vor Ort kümmern sich die Bundesvermögensämter um die Ruinen, ihre vorgesetzte Behörde ist die Oberfinanzdirektion, die ihrerseits dem Finanzminister des Bundes untersteht. Stehen Arbeiten am Westwall an, so sind dafür die Staatsbauämter zuständig. Sie sind den Landesvermögens- und Bauabteilungen unterstellt, die wiederum dem Bauminister in Bonn zugeordnet sind. Federführend für die „Gefahrenbeseitigung“ an Westwall-Anlagen in Rheinland-Pfalz ist die Oberfinanzdirektion Koblenz. Um die Bunker und Stollen in der Süd- und Westpfalz kümmern sich die Bundesvermögensämter in Kaiserslautern und Landau.

Rund 8500 ehemalige Westwallbunker in Rheinland-Pfalz sind bei der Oberfinanz­direktion (OFD) Koblenz registriert, im Saarland noch einmal 3900. Für die einzelnen Kreise liegen der OFD keine Zahlen vor. Weder die Finanzbehörde in Koblenz noch die Vermögensämter verfügen über die vollständigen alten Karten und Lagepläne. So führen sie Kontrollgänge durch, um die kriegerischen Überreste aufzuspüren. Der Löwenanteil der registrierten Ruinen entstammt  allerdings Meldungen von Bürgermeistern, Gemeinden, Forstverwaltungen und Privatleuten, die die Trümmer verschwinden sehen wollen. Die Vermögensämter führen aber keine Bunkerbeseitigung durch, sondern - darauf legen sie wert - nur eine „Gefahrenbeseitigung“. Der Begriff der „Gefahr“ ist natürlich dehnbar und so hat man früher dazu geneigt, die „Gefahr“ an der Wurzel zu packen und gleich den ganzen Bunker zu entfernen. In der Auseinandersetzung mit dem Naturschutz ist man zum Leidwesen der Bauern und der Forstbehörden zu einer restriktiveren Haltung übergangen.

Bis 1984 standen den Finanzbehörden jährlich rund 3 Millionen Mark zur Gefahrenbeseitigung in Rheinland-Pfalz und im Saarland zur Verfügung. In den letzten beiden Jahren sind die Mittel gesunken, 1986 waren es aber immer noch 1,8 Millionen Mark. Bisher wurden in Rheinland-Pfalz rund 43 Millionen und im Saarland rund 15 Millionen für die „Westwall-Entsorgung“ verpulvert.

Rund 2500 Bunker wurden in Rheinland-Pfalz auf Geheiß der OFD total beseitigt. Dazu kommen weitere 1200, die vor Flurbereinigungen, Neubaugebieten und dem Straßenbau kapitulieren mussten. Allein beim Bau der Autobahn A 8 zwischen Limbach/Saar und Höheischweiler bei Pirmasens wurden 52 Anlagen, darunter die größten Festungswerke des Westwalls, geschliffen. An insgesamt 6800 rheinland-pfälzischen Bunkeranlagen ließ die Bundesvermögensverwaltung Maßnahmen zur Gefahrenbeseitigung durchführen, jährlich kommen durchschnittlich 70 - 90 Bunker und 35 Stollen hinzu. Über die genaue Anzahl der Stollen hat die Oberfinanzdirektion keine Unterlagen. Sicher ist nur, dass an rund 1250 Stollen Maßnahmen durchgeführt wurden. Nach Schätzungen der OFD wurden 70 Prozent verschlossen und 30 Prozent total verfüllt.

Einige unbeschädigte Stollen und Westwallbunker führten nach Kriegsende nur ein kurzes Reservistendasein und wurden bald wieder reaktiviert. Sie dienen heute der US-Armee oder der Bundeswehr, in manchen Fällen auch dem Zivilschutz als Luftschutzanlage.

Gefahren für Leib und Leben ?

In den Ruinen des ehemaligen Westwalls lauern - will man seinen Verwaltern glauben - Gefahren auf Schritt und Tritt . „Absturzhöhen vom Bunker und in die Bunkerhohlräume von 3 bis 6 Meter, sichtbare und verdeckte Spalten, Einspü­lungen, Absenkungen, abstehende und herausragende Moniereisen (verrostet)“, so beschreibt die Oberfinanzdirektion (OFD) Koblenz, die Fallen, die in den Kampfanlagen Spaziergänger, Wanderer und spielende Kinder bedrohen. Bei den Stollen sind es Einbrüche, Verwerfungen, senkrechte Schächte und loses Erdreich.

Diese Gefahren für Leib und Leben gilt es, so die OFD, zu beseitigen. Die „Verkehrssicherungspflicht“  habe Vorrang vor allen anderen Belangen. Wie dieser Pflicht Genüge getan werden kann, entscheidet eine Begehungskommission, fünf bis fünfzehn Mann stark. Ihr gehören Vertreter aller beteiligten Behörden an. OFD und Vermögensämter stellen die Gefahren fest, die es zu beseitigen gilt. Wie das gemacht werden soll, bestimmt die Staatsbauverwaltung. Sie übernimmt auch die Ausschreibung und Überwachung der Arbeiten. Zwei Bergbauingenieure sind bei den Oberfinanzdirektionen Saarbrücken und Karlsruhe eigens als Gutachter für den Zustand der  Stollen beschäftigt.

Die „typische Gefahrenbeseitigung“ an den Bunkern beschreibt die OFD Koblenz so: „Bei der konkreten Gefahrenbeseitigung werden nur gezielte Einzelmaßnahmen durchgeführt, zum Beispiel Abtrennen herausragender Moniereisen, Auffüllen von Einspülungen, Aufschütten von Absenkungen et cetera. Im übrigen bleibt die Anlage wie sie ist.

Bei der nachhaltigen Gefahrenbeseitigung werden die Bunkertrümmer in Brocken von dreißig mal dreißig Zentimeter zersprengt, die Monierung entfernt und die Trümmer in den Bunkerhohlraum oder auf dem Grundstück an Ort und Stelle vergraben. Anschließend erfolgt eine Erdüberdeckung. Die nachhaltige Gefahrenbeseitigung ist oft wirtschaftlicher.“

Stollen werden - wenn sie nicht total verfüllt werden - beispielsweise abgemauert und mit Erde angeböscht, oder zubetoniert. Ein Verschließen des Stollens mit eine Stahltür wird in der Regel nur in Betracht gezogen, wenn er für den Luftschutz oder als Lagerraum genutzt werden soll.

Eine Zeitlang wurden die Trümmergrundstücke einfach eingezäunt, in Rheinland-Pfalz und im Saarland jeweils rund 1400. Inzwischen denkt die OFD nur noch ungern über Umzäunungen nach, denn, so Koblenz wörtlich, „ein verrottungsfester Zaun kostet heute 80 bis 100 Mark pro laufender Meter.“ Je nach Bunkergröße ergäben sich so 8 000 bis 15 000 Mark. Die Zäune müssten ständig kontrolliert und ausgebessert werden. Das Zertrümmern eines Bunkers kostet demgegenüber ohne die Nebenkosten rund 30 Mark pro Kubikmeter Beton. Bei einer durchschnittlichen Menge von 250 bis 300 Kubikmeter Beton pro Objekt ergäben sich ebenfalls cirka 10 bis 15 000 Mark - und die arme Seele habe Ruh. Die Vermögensverwaltung geht deshalb mehr und mehr dazu über, defekte Zäune nicht mehr zu reparieren, sondern die Trümmergrundstücke durch eine „nachhaltige Gefahrenbeseitigung“ zu entschärfen.

Die Zertrümmerung von größeren Anlagen kann allerdings ziemlich teuer werden. So kann die Beseitigung eines B-Werks durch­aus bis zu 300 000 Mark kosten, die Verfüllung eines Stollens bis zu einer halben Million Mark. Lohnt sich der Aufwand?

In Rheinland-Pfalz sind in den West­wall-Anlagen bisher keine schweren oder tödliche Unfälle passiert. Lediglich vier Sachschäden mit Kühen und einem Mähdrescher - für die die OFD nicht haftet - und ein Unfall mit einer leichten Verletzung sind bekannt geworden. Im Saarland soll 1960 ein Kind tödlich verunglückt sein, als es in ein herausragendes Moniereisen fiel. 1974 erstickten in Saarbrücken zwei Kinder in einem Wehrmachtsstollen, nachdem sie ein Feuer entfacht hatten. Allerdings war ausgerechnet dieser Stollen vorschriftsmäßig  von den Behörden gesichert worden. Dann gab es 1976 im Saarland den Entführungsfall Gernot. Der Entführte wurde tot in einem Westwallbunker gefunden. Während die Vermögensverwaltung die vergleichsweise geringe Unfallrate auf ihre Sicherungsmaßnahmen zurückführt, spricht der Förster Armin Osterheld, vom BUND, von einer „nur in der Einbildung existierenden Gefahr“. Die 43 Millionen, die bisher allein in Rheinland-Pfalz für die Gefahrenbeseitigung ausgegeben worden sind, seien eine „Praxis der Verschleuderung von Steuergeldern“. Hätte man diese Gelder in eine Stiftung eingebracht, so der Förster weiter, könnte man alleine von den anfallenden Zinsen alle Unterhaltskosten und Schadensersatzansprüche in der Zukunft finanzieren. Mit dem gleichen Tenor hat sich auch der Bund der Steuerzahler nach der Bunkerbeseitigung erkundigt. Kurt Langguth, Vorsitzender des BUND-Pirmasens vertrat in einem Brief an den Umweltminister die Meinung, dass der Gefahrenbegriff der Bundesvermögensämter unrealistisch sei. Er zitiert einen Sachbearbeiter, der die Meinung vertrat, dass selbst ein freistehender, großer Betonbrocken eine Gefahrenquelle darstellt, „es könnte ja jemand hinaufklettern und herunterfallen.“ Damit sei klar, meint Langguth, daß die Vermögensverwaltung nach und nach alle Bunkerruinen unter ihrer Verantwortung eliminieren möchte. Ins gleiche Horn stößt Armin Osterheld: Die Behörden hätten sich verselbstständigt, die Bunkerbeseitigung sei längst zum Selbstzweck verkommen, - eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme im Selbstbedienungsverfahren, die ohne Rücksicht auf den Naturhaushalt durchgeführt werde.

Natur im Bunker ?

Der Bau des Westwalls war ein tiefer Einschnitt in die Landschaft des pfälzischen Grenzlandes. Nimmt man alles zusammen, die vielen Millionen Kubikmeter Beton, den Wegebau, die Erdbewegungen, die Kahlhiebe, muss man von einer Umweltzerstörung ersten Ranges reden. Deshalb wirkt es auf den ersten Blick absurd, dass ausgerechnet Umwelt- und Naturschützer zu glühenden Westwall-Verteidigern geworden sind. Es ist schwer verständlich, dass die Bunkerruinen und die halb zerfallenen Stollen heute eine Zufluchtsstätte für Pflanzen und Tiere sein sollen.

Um es zu verstehen, müssen wir unseren Blick vom Westwall lösen, müssen wir betrachten, was mit Natur und Landschaft, mit den Pflanzen und Tieren in den letzten hundert Jahren passierte.

In Rheinland-Pfalz sind 50 Prozent der Säugetiere, 49 Prozent der Vögel, 50 Prozent der Kriechtiere, 76 Prozent der Lurche und 69 Prozent der Fische ausgestorben, verschollen oder vom Aussterben bedroht (Naturschutz-Handbuch Rheinland-Pfalz, herausgegeben vom Ministerium für Umwelt und Gesundheit, 1982). Ähnlich sieht es bei den Insekten aus: 60 Prozent der Tagschmetterlinge und 50 Prozent der Libellen sind dabei, sich für immer von uns zu verabschieden. 51 Prozent der in Rheinland-Pfalz vorkommenden Geradflügler, wie Heuschrecken und Grillen, sind ausgestorben oder in ihrem Bestand gefährdet. Das gleiche düstere Bild ergibt sich bei den Pflanzen: Jede dritte, der rund 2700 deutschen Blütenpflanzen und Farne, droht aus unserer Landschaft zu verschwinden. Die Studie „Global 2000“, die im Auftrag des amerikanischen Präsidenten entstand, prognostiziert, dass im Jahre 2000 weltweit rund 2 Millionen Pflanzen- und Tierarten ausgerottet sein werden.

Im Jahr 2030 wird es einen „stummen Frühling“, einen Frühling ohne Vogelgezwitscher geben. Das prophezeit die Max-Planck-Gesellschaft in München, die 10 Jahre lang die Bestände unserer heimi­schen Vogelarten beobachtet hat. Nach dieser Untersuchung gehen die Vogelbestände langsam aber stetig zurück. Wird diese Entwicklung nicht gebremst, wird es bald nach der Jahrtausendwende keine Vögel mehr geben.

Schuld an dieser dramatischen Entwicklung ist vor allem die Zerstörung der Lebensräume (Biotope), an die Pflanzen und Tiere gebunden sind. Hauptverursacher des Artenschwunds ist dabei die moderne, intensive Landwirtschaft. Die Bundesforschungsanstalt für Naturschutz und Landschaftsökologie hat nachgewiesen, dass 75 Prozent der ausgestorben oder bedrohten Pflanzenarten auf das Konto der Landwirtschaft gehen. Und mit jeder Pflanze verschwinden 10 bis 20 Tierarten. Dabei hat erst das tief gegliederte Mosaik aus Feldern, Weiden, Wäldern und Siedlungen den Artenreichtum der Kulturlandschaft ermöglicht. Aber der Druck, auf immer engerem Raum immer mehr Nahrungsmittel erzeugen zu müssen, lässt der Natur keinen Raum mehr. Die moderne Landwirtschaft zerstört ihr eigenes Erbe. Die maschinengerechte Landschaft, wie sie mit den Flurbereinigungen geschaffen worden ist, ist ein „Biotopfresser“ ersten Ranges:

·      Feuchtwiesen und Kleingewässer wurden entwässert, umgebrochen und aufgefüllt. Die unscheinbaren Tümpel und die morastigen Wiesen sind für alle Amphibien, wie Frösche, Lurche und Kröten, unverzichtbare Lebensräume. Außerdem brüten in ihnen zahllose Vogelarten. Am Beispiel der „Mardellen“ im Westrich kann der Rückgang der Kleingewässer nachvollzogen werden. Mardellen sind Wasser gefüllte Vertiefungen, die sich im Westricher Land bis nach Lothringen hinein verstreut finden lassen. Ihre Entstehung ist bis heute noch nicht vollständig geklärt. 1929 gab es westlich von Pirmasens noch 149 Mardellen, 1974 wurden nur noch 74 gezählt. Seitdem hat ihre Anzahl weiter  kontinuierlich abgenommen. Auf der Gemarkung der Stadt Pirmasens ist der Klosterpfuhl die einzige Feldmardelle, die noch zu finden ist.

·      Fließgewässer wurden begradigt, ausgesteint, ihre Ufer von Bewuchs „gesäubert“. Der Sprung vom lebendigen Bach zum toten Vorfluter ist weiträumig vollzogen. Mit den Schlingen der Bäche, den Ufergehölzen und den Steilabbrüchen verschwinden Vögel, wie der Eisvogel, Süßwasserfische, Krebse und Muscheln. In einem intakten Bach können 486 wirbellose Tierarten und 3 180 Individuen nachgewiesen werden, während ein vergleichbarer ausgebauter Bach nur 251 Tierarten in ganzen 450 Individuen vorweisen kann. Zu dem technischen Ausbau der Gewässer kommt ihre Verschmutzung durch Industrie- und Siedlungsabwässer.

·      Hecken und Baumgruppen wurden gerodet. Die Hecke ist ein sehr vielseitiger Lebensraum. In norddeutschen Wallhecken wurden in nur einem Heckenabschnitt 1500 Tierarten nachgewiesen, von der Kröte über den Igel bis zum Neuntöter. Darüberhinaus sind Hecken „Relaisstationen“ für Tierarten, die im Ackerumland leben. Zahlreiche Insektengruppen, wie Marienkäfer und Raubwanzenarten, halten sich in der Hecke nur zu bestimmten Jahreszeiten auf. Das Leben in der Hecke wirkt sich positiv auf das Umfeld aus. Die Bayerische Landesanstalt für Bodenkultur und Pflanzenanbau hat herausgefunden, daß sich im Schutz einer acht Meter hohen Hecke Ertragssteigerungen von im Durchschnitt zwanzig Prozent erzielen lassen. In den Bäumen der Obstwiesen hausen Steinkauz, Gartenrotschwanz und die nahezu ausgestorbenen Würgerarten.

·      Trocken- und Halbtrockenrasen wurden in Anbauflächen umgewandelt oder nicht mehr bewirtschaftet, beides bedeutet ihre Zerstörung. Die Trockenstandorte sind heute die am meisten bedrohten Lebensräume in der Bundesrepublik. Trockenstandorte sind auf extrem mageren Böden entstanden, in ihrer Mehrzahl verdankten sie ihr Dasein der menschlichen Hand. Sie entstanden durch eine periodische Beweidung oder durch Mähen. Da die Böden nie gedüngt wurden, wurden sie immer ärmer und boten vielen Pflanzen einen speziellen Lebensraum. Auf den Magerstandorten finden wir 600 Arten von Blütenpflanzen und damit fast ein Viertel unserer Pflanzenwelt. Da ihre Bewirtschaftung unrentabel geworden ist, verbuschen diese Lebensräume und sind damit verloren. Im Kreis Pirmasens sind mehrere Trockengebiete unter Naturschutz gestellt.

·      Trockenmauern und Lesesteinhaufen wurden entfernt, - auch das Lebensräume aus Menschenhand, bewohnt von Dutzender verschiedener Pflanzen, von Eidechsen und Reptilien.

Zu der Landschaftszerstörung, kommen die Agrarchemikalien. Jährlich werden in der Bundesrepublik rund 20 000 Tonnen Unkrautvernichtungsmittel (Herbizide) von der Landwirtschaft versprüht. Die Ackerwildkräuter müssen da weichen.

Natürlich sind nicht nur die Bauern am Artentod beteiligt. Auf dem zweiten Platz der „Hitparade“ der Bundesforschungsanstalt für Naturschutz und Landschaftsökologie stehen - wenn auch mit deutlichem Abstand -  Forstwirtschaft und Jagd, vor allem durch die Aufforstung von Trockenrasen und Heideflächen und durch die Umwandlung von Laubwäldern in Nadelholzforste. An dritter Stelle folgt der Tourismus mit seinen Begleiterscheinungen, wie Skipisten, Lifte, Stauseen und ähnlichem. Erst danach kommen die Formen der städtisch-industriellen Nutzung, die Gewinnung von Rohstoffen (Kiesabbau, Torf­abbau), die Wasserwirtschaft und die Abfall- und Abwasserbeseitigung.

Jede dieser Nutzungsarten schneidet kräftig in das Netz des Naturhaushalts, jeder weitere Schnitt könnte es zum Zerreißen bringen.

Die Verinselung der Lebensräume

Eine Politik, die sich ernsthaft um Frösche und Kröten, um Spinnen und Heuschrecken sorgt, und dafür noch die Ruinen des ehemaligen Westwalls heranziehen möchte, ist nicht nur an den Stammtischen heftig umstritten. Was schadet es dem Menschen, wenn die ein oder andere Pflanze, das ein oder andere Tier für im­mer aus dem Raumschiff Erde aussteigt ?

In ihrem Buch „Der lautlose Tod“ beschreiben die amerikanischen Ökologen Anne und Paul Ehrlich den Artentod mit einem einprägsamen Bild: Stellen Sie sich vor, sie schlendern vom Flugsteg hinaus zu Ihrem Jet. Plötzlich entdecken Sie einen Mann auf einer Leiter, der aus einer Tragfläche Schrauben herausdreht. Verblüfft fragen Sie ihn, was er denn da mache. Er antwortet, dass die Luftlinie, bei der er arbeite, herausgefunden habe, dass man diese Schrauben für vier Mark pro Stück verkaufen könne. Sie erklären ihn für verrückt und warnen, dass die Tragfläche abbrechen könnte. Er antwortet: „Da machen Sie sich mal keine Sorgen, diese Flugzeuge haben einen großen Sicherheitsspielraum. Ich habe schon viele Schrauben aus dem Flügel herausgedreht und die Maschine fliegt immer noch. Außerdem brauchen wir das Geld...“

Der Mensch ist mit allen Tieren und Pflanzen eingewoben in den Organismus der Natur. Im Zusammenspiel aller Arten sorgt der funktionierende Naturhaushalt dafür, dass Atemluft und Trinkwasser vorhanden sind, dass das Klima erträglich bleibt und der Boden fruchtbar. Jede aussterbende Tier- oder Pflanzenart, kann diesen hoch komplizierten Organismus ins Schleudern bringen, könnte die entscheidende Schraube sein, die die Tragfläche noch am Rumpf hält.

„Wildlebende Tiere und wild wachsende Pflanzen sind vielfältig wirksame Bestandteile unseres gemeinsamen Lebensraumes,“ schrieb der damalige Mainzer Umweltminister Rudi Geil im Naturschutz-Handbuch Rheinland-Pfalz. „Auf sie sind wir bei allem ‘Fortschritt’ angewiesen. Deshalb muss unser vorrangiges Ziel sein, die Tier- und Pflanzenwelt als unsere natürliche Lebensgrundlage zu erhalten, zu schützen und zu pflegen.“ Das Handbuch führt einen weiteren wichtigen Grund für den Arten- und Biotopschutz an: Die Wildpflanzen und -tiere bilden einen unermesslichen „Genpool“: „Artenschutz aus dieser Sicht zu betreiben, geht von Erkenntnissen und Erfahrungen der Genetik in den letzten Jahrzehnten aus, wonach Wildarten nicht nur für die aktuelle Züchtung von Nutztieren von hohem Wert sind, sondern mit Sicherheit auch in Zukunft wertvolles Erbgut einbringen können, wenn bisher nicht absehbare Ansprüche zu erfüllen sind.“ Schließlich war Penicillin lange Zeit nur ein Namen für einen unscheinbaren Pilz. Insofern hätte der amerikanische Dichter Ralph Emerson doch recht, wenn er sagt, ein „Unkraut“ sei einfach eine Pflanze, deren Wert wir noch nicht erkannt haben.

Der Sachverständigenrat für Umweltfragen fasst in seinem Umweltgutachten 1978 grundlegende Argumente für den Artenschutz so zusammen: „Daneben treten Schutzgründe psychologischer, ästheti­scher und ethischer Art. Eine vielfältige Naturausstattung bedeutet unbestreitbar eine Bereicherung der menschlichen Er­fahrungswelt und dient der Befriedigung ideeller Bedürfnisse. Aus Sicht der Umweltvorsorge erscheinen Mensch und Natur als Partner; diese Partnerschaft umfasst auch die Verantwortung dafür, dass allem nicht menschlichen Leben im Rahmen dieses Systems die bestmöglichen Chancen der Existenz und Evolution geboten werden (Ehrfurcht vor der Natur).“

Was folgt aus all diesen guten Argumenten? Noch einmal Minister Rudi Geil: „Angesichts des bereits zu verzeichnenden hohen Gefährdungsgrades der Pflanzen- und Tierwelt muss von Seiten des Naturschutzes mit Nachdruck auf die lebensbedrohenden Folgen eines weiteren Verlustes an Biotopen durch fortschreitende Intensivierung der Landnutzung hingewiesen werden.“ Zur Erhaltung der Vielfalt an Pflanzen- und Tierarten, so der Minister weiter, müssten mindestens zehn bis fünfzehn Prozent der Fläche eines Landes aus intakten, funktionstüchtigen Lebensräumen bestehen. Das Landesamt für Umweltschutz und Gewerbeaufsicht in Oppenheim hat 1980 bis 1984 die rheinland-pfälzischen Lebensräume kartiert und kam auf cirka 30 000 Biotope, die nach grober Schätzung eben fünfzehn Prozent der Landesfläche bedecken. Das bedeutet nach den Worten des Ministers, „dass die überkommenen Lebensräume kaum noch geschmälert und nur insoweit noch anderen Nutzungen zugeführt werden können, als sich dies aus ökologischen Gründen nicht verbietet und gleichwertiger Ausgleich oder Ersatz geschaffen wird.“ Leider hat sich diese Erkenntnis noch nicht durchgesetzt. Die noch vorhandenen naturnahen Flächen stehen unter ständigem Druck. Eine Erhebung in Bayern hat erbracht, dass von den kartierten Biotopen rund die Hälfte nach fünf bis sieben Jahren zum Teil erhebliche Beeinträchtigungen aufwiesen. Förmlich unter Schutz gestellt, sind aber noch nicht einmal 1 Prozent der Flächen in Rheinland-Pfalz. („Arten und Biotopschutz, Aufbau eines vernetzten Biotopsystems“, Fachtagung 1984).

Mit einer Unterschutzstellung allein ist es noch nicht getan. Viele Biotope sind auf Dauer nicht überlebensfähig. Sie liegen wie einsame Inseln in einer lebensfeindlichen Umgebung. Viele Tier- und Pflanzenarten können die Distanz bis zum nächsten geeigneten Lebensraum nicht mehr bewältigen. Oft ist schon eine Straße eine unüberwindbare Barriere. Ausbreitung und Zuwanderung sind damit unterbunden. Deshalb müssen die Biotope untereinander verbunden - „vernetzt“ - werden. Nach Professor Sukopp von der Technischen Universität Berlin muss die Vernetzung folgendes sicherstellen:

·      Die Wiederbesiedlungsmöglichkeit von Lebensräumen.

·      Den langfristigen Gen-Austausch zwischen den Biotopen. Eine isolierte Situation kann durch Inzucht zur Degeneration von Arten führen.

·      Die Verbindung zwischen Teillebensräumen einer Art. So haben Amphibien, wie Frösche und Lurche, ihre Kinderstube im Wasser, leben erwachsen aber auf dem Land. Zur Fortpflanzung kehren sie zum Wasser zurück. Zugvögel haben im Sommer und Winter unterschiedliche Lebensräume. Der Graureiher pendelt zwischen Schlafplatz und „Kantine“. Sein Brutplatz auf einem hohen Baum und sein Jagdgebiet an einem Gewässer können bis zu 30 Kilometer auseinander liegen.

In Rheinland-Pfalz sind seit einigen Jahren Vorarbeiten zum Aufbau eines „Vernetzten Biotopsystems“ im Gange. Es gibt darin zwei Arten von Vernetzungselementen:

·      „Korridore“, das sind zum Beispiel Heckensysteme, trockene Böschungen, Wasser gefüllte Gräben, - also ununterbrochene Verbindungsstränge.

·      „Trittsteine“, wie Baumgruppen, Einzelbäume, Tümpel, Teile von Hecken et cetera. Also Punkte, die so nah aneinander gelegen sein müssen, dass die Distanz dazwischen, von den einzelnen Arten noch „übersprungen“ werden kann.

Solche Trittsteine können zum Beispiel auch die Ruinen des Westwalls sein.

Oasen in der Agrarwüste: Bunkerruinen im Feld

Sie wirken irgendwie fremdartig, die kleinen grünen Hügel auf den Feldern und Wiesen hinter Obersimten in Richtung Vinningen, oder entlang der Straße von der B 10 in Richtung Walshau­sen. Dicht aneinander gedrängt, teils mit Gräsern, teils mit Büschen, Hecken und Bäumen bewachsen, erinnern sie ein wenig an heidnische Grabstätten und so etwas ähnliches sind sie ja auch: Unter ihnen liegen die Trümmer des Westwalls begraben.

Manchmal sind die Ruinen schwer zu erkennen. So ist etwa das Wäldchen an der Straße zum Militärflughafen Zweibrücken, zwischen Nünschweiler und dem Wahlbacherhof, nichts anderes als die bewachsenen Trümmer eines  B-Werks. Meistens sind sie nicht zu übersehen: In einer baum- und strauchlosen Landschaft sind sie die Ausnahme, kleine dicht bewachsene Oasen in der Agrarwüste.

Genau das macht ihren Wert aus. Als die Feldhölzer dem Wachstum der Landmaschinen weichen mussten, als die Flurbereinigung die alten Obstbäume und die bewachsenen Wegränder ausradierte, sind die Hecken und Bäume auf den übererdeten Bunkern geblieben, weil der massive Beton sie vor allen Nutzansprüchen bewahrte. Für viele Pflanzen und Tiere, die von Chemie und Mechanik aus den umliegenden Äckern vertrieben wurde, sind sie die letzte Auffanglinie - Umwelt-Schutzbunker. Der Umweltingenieur Arno Sprau hat im Auftrag der Stadt Zweibrücken die Westwallbunker unter die Lupe genommen. 140 Käferarten und 108 Pflanzenarten hat er auf ihnen gefunden. Das nahezu gleiche Ergebnis erzielte der Kehler Vogelschützer Andreas Braun in einer preisgekrönten Jugend-forscht-Arbeit. Braun wies nach, dass an den Bunkern mehr als doppelt so viele Käferarten zu finden sind, als im angrenzenden Kulturgebiet. Während die Arten der Bunkerruinen in einem ausgewogenen Verhältnis zu einander stehen - Räuber und Beute sind gleichmäßig vertreten -  finden sich in der Kulturlandschaf einige Käferarten so häufig, dass sie schädlich werden können. Schlussfolgerung des Biologen: Die Ruinen haben eine ganze Reihe von Schutzaufgaben, wie „Windschutz, Ver­besserung des Kleinklimas, Schutz vor Erosion und Austrocknung, Staubfilterung. Als Lebensräume für Schädlingsvertilger wie Igel, Spitzmaus und Laufkäfer sowie für Kleinraubtiere wie Mauswiesel und Iltis wirken sie zudem als biologische Schädlingskontrolle und Tierbestandsregulierer.“

Der ökologische Wert der Bunkerruinen erhöht sich durch die Vielzahl der unterschiedlichen Lebensräume, die sie auf kleinster Fläche aufweisen. In dem Gewirr aus kleinen trockenen und feuchten Höhlungen, schattigen Spalten, schrägen sonnigen Wänden und kleinen Wasseransammlungen fühlen sich eine ganze Reihe von Insekten, Reptilien, Vögel und Kleinsäugern heimisch. Hier finden sie das ganze Jahr Nahrung, Schutz, Fortpflanzungsmöglichkeiten und Unterschlupf. Dieter Geil vom Bund für Umwelt und Naturschutz Südliche Weinstraße (BUND) hat in den Ruinen auf den Weinbergen die Zauneidechse, die Mauereidechse, ja sogar die Würfelnatter gefunden Ebenso  Dachs,  Siebenschläfer, Feldhamster und Haselmaus. Hinzu kommen Kröten, Molche und Froscharten. Gerd Hack vom Deutschen Bund für Vogelschutz Zweibrücken (DBV) weiß, dass Neuntöter, Feldschwirl, Steinschmätzer und der Vogel des Jahres 1987, das Braunkehlchen, in Westwallruinen brüten. Extrem vielseitig ist auch der Bewuchs der zerstörten Bunker. Bernhard Michel, der Zweibrücker Landespfleger, nennt neben Baum- und Strauchbewuchs, Ruderalflora (Pflanzen auf stickstoffreichem, lockerem Boden wie Erdabbruch, Geröll, Schutt etc.), Gräser, Hochstauden bis hin zum Trockenrasencharakter. Michels Fazit: „Es wäre nun sicherlich übertrieben, sie (die Westwallruinen) in ihrer Funktion etwa bestimmten Schutzgebieten gleichzusetzen, dafür sind sie flächenmäßig zu klein. Ihre Bedeutung liegt vielmehr in der Tatsache, dass die alten Kampfanlagen Trittsteine zwischen noch bestehenden, ökologisch halbwegs intakten Flächen (...) darstellen, und somit einen nicht zu unterschätzenden Beitrag zur Vernetzung von Lebensräumen leisten.“ (DBV-Naturschutz-Illustrierte 8/86)

Entsprechend empfindlich reagieren die Naturschützer auf die Beseitigung der „Rettungsinseln“. Gerd Hack ist noch heute extrem erbost, wenn er an die Zerstörung einer Anlage am „Förstel“ in der Walshausener Gemarkung denkt. Zuerst hatte die Flurbereinigung - neben anderer Umweltsünden - 22 Bunkerruinen rings um Walshausen geschliffen. Ein anderer Teil der Bunker wurde von den Behörden als „landespflegerische Anlagen“ ausgewiesen. Doch kaum war die Flurbereinigung vorbei, kam die Bundesvermögensverwaltung und ließ die „landespflegerischen Anlagen“ als Gefahrenstelle kurzerhand beseitigen. Um das Maß voll zu machen, wurde der Abraum der Bunker in eine daneben liegende 300 Quadratmeter große Mardelle gekippt und somit ein wertvolles Amphibienlaichgewässer vernichtet. Bei einer Bunkerbeseitigung am Offweilerhof wurde der Brutstandort des Grauwürgers zerstört. Gerd Hack: „Es war der einzige uns bekannte Brutplatz dieses seltenen Vogels in unserem Arbeitsbereich. Somit ist diese vom Aussterben bedrohte Würgerart aus unserem Raum verschwunden.“

Die Bauern und Winzer sehen die Angelegenheit aus einem anderen Blickwinkel. Sie erinnern daran, dass sie beim Westwall-Bau ohne gefragt zu werden enteignet wurden, dass sie in den Kriegsjahren zwischen Bunker und Panzersperren pflügen und ernten mussten. Der CDU-Stadtrat Schoch pocht als Vertreter der Landwirtschaft im Landespflegebeirat Pirmasens auf die völlige Beseitigung der Bunker. Mit den heute üblichen Maschinen, so der Bauer aus Winzeln, würde man ständig anecken, Pflüge würden abbrechen, dort wachsende Bäume würden das Feld beschatten, so dass das Getreide später reif würde. Er möchte, unterstützt von der pfälzischen Bauern- und Winzerschaft, daß die Bunker an Ort und Stelle vergraben werden. Andernfalls, so die pfälzische Bauernschaft, müsse die Landespflege die Bunkergrundstücke erwerben.

Allerdings wurden die Bauern in den Jahren 1960 bis 1975 für die Betonbrocken auf ihrem Acker entschädigt. „Die Entschädigung“, erklärt die Oberfinanzdirektion in Koblenz, „richtete sich nach der in Anspruch genommenen Fläche des Grundstücks.“ Durchschnittlich gab es 120 bis 250 Mark pro Objekt. Ein reeller Preis, versichert die OFD, es seien aktuelle Kaufverträge zugrunde gelegt worden.

Bunker im Wald

Die Notwendigkeit von Naturschutz in der Agrarlandschaft ist unumstritten. Der Wald gilt dagegen weithin noch als reine Natur. Die Existenzberechtigung der Westwall-Ruinen wird deshalb im Waldgebiet besonders angezweifelt.

Dabei ist der Wald - wie die gesamte mitteleuropäische Landschaft - Menschen geprägt. Prof. Dr. Norbert Hailer, Forstdirektor und Vorsitzender des Landespflegebeirates bei der Bezirksregierung, meint: „Der heutige Wald ist längst kein Urwald mehr, sondern ein Wirtschaftswald, dessen Zusammensetzung mehr oder weniger von wirtschaftlichen Nutzungsansprüchen bestimmt wurde und wird.“ (Pfälzische Landeskunde, „Die pflanzengeographische Situation der Pfalz.“).

Der bekannte Journalist Horst Stern, verteidigt die Forstwirtschaft: Eine „Kulturtat ersten Ranges“ sei es gewesen, den Wald jahrhunderte lang bewahrt zu haben gegen „die Raubameisenmentalität des Menschen“, den die Technik, so Stern, mit immer schärferen Zähnen versah: „Ganze Wälder gingen in den Öfen der Wohnhäuser, in den Schmelzen der Erz- und Glashütten und unter den Kesseln der Salinen in Flammen auf; sie verbrannten mit den hölzernen Städten des Mittelalters und versanken mit seinen Kriegs- und Handelsflotten: Nicht also, dass der Urwald aus unserer intensiv genutzten Kulturlandschaft verschwunden ist, kann überraschen; dass es überhaupt noch Wald bei uns gibt, ist bemerkenswert. Wir verdanken es der waldspezifischen Idee der Nachhaltigkeit; nicht mehr Holz ernten als nachwächst. Darin steckt, des langen Wachstumsalters der Bäume wegen, jeweils mehr Vorsorge für kommende als für gegenwärtige Generationen.“ - Ein naturfreundliches Prinzip, das die Forstwirtschaft zum Vorbild für die Rohstoffwirtschaft erhebt.

Die Wälder sind auch als Wirtschaftsforste noch das ökologische Rück­rat der Landschaft. In ihnen und den Gewässern leben mehr als die Hälfte unserer Tier- und Pflanzenarten. Die Wälder sorgen nach wie vor für ein erträgliches Klima, für atembare Luft, für sauberes Wasser. Trotzdem sind die Eingriffe des Menschen in das Ökosystem Wald gravierend. Drei Viertel der vom Aussterben bedrohten Säugetiere leben im oder in unmittelbarer Nähe des Waldes, ebenso wie 56 von 133 gefährdeten Vogelarten. Professor Dr. Günter Preuß, Vorsitzender des Vereins für Naturforschung und Landespflege Pollichia, benennt die Ursachen dieser bedrohlichen Entwicklung: „Die kurzen Umtriebszeiten der Waldbäume, die Beseitigung von Stubben, von auf dem Boden liegendem Holz, von Weichhölzern und überalterten Altbäumen haben eine entsprechende Artenselektion herbeigeführt. Die Verwendung von Herbiziden zur Eindämmung von Wildkräutern in Kulturen, auf Schneisen und Leitungstrassen kann zu schwerwiegenden Auswirkungen auf die Fauna führen. Betroffen sind davon die Blattfresser und vor allem die Blütenbesucher, deren Nahrungsgrundlage durch die schlagartige Vernichtung blühender Wildkräuter ... zusammenbricht, ohne dass ausreichender Ersatz besteht. Holzmulm- und Höhlen bewohnende Tiere sind ebenfalls stark zurückgedrängt worden... Von den ausschließlich Blüten besuchenden und für die Bestäubung der Pflanzen so wichtigen Grab- und Lehmwespen sind rund 60 % der Arten auf altes Holz für den Nestbau angewiesen, hinzu kommen etwa zwei Dutzend Wildbienen unserer Wälder. Ehemalige Großtiere unserer Wälder sind ohnehin verschwunden. (Bär, Luchs, Wolf usw.), andere werden immer seltener wie Wildkatze, Auerwild und Haselwild.“ (Pfälzische Landeskunde, „Bemerkungen über Ökosysteme der Pfalz“).

Im Kulturwald fehlt die Phase des Sterbens und Verwesens. Während im Urwald die Bäume zu Riesen heranwachsen und oft jahrhunderte lang leben bis sie morsch werden oder der Wind sie wirft, werden die Bäume im Wirtschaftswald nach 100 bis 140 Jahren „geerntet“, sie sterben im Vollbesitz ihrer Kräfte unter der Motorsäge. Tiere, die auf morsches Holz und Baumhöhlen angewiesen sind, wie beispielsweise der Schwarzspecht, die Hohltaube oder Baumfledermäuse sind in unseren Wäldern deshalb rar geworden.

Das Auerwild hat dagegen vor allem Probleme mit dem „Altersklassenwald“. Im Naturwald stehen Bäume jeden Alters und jeder Stärke bunt durcheinander gewürfelt. Im Wirtschaftswald sind die Bäume dagegen fein säuberlich nach Alter sortiert, wie die Schüler in den Schulklassen.

Auch die Zusammensetzung des Waldes hat sich unter wirtschaftlichem Druck völlig verändert. Die natürlichen Wälder der Pfalz sind sommergrüne Laubmischwälder, auf dem nährstoffarmen Sandsteinböden vor allem der so genannte Hainsimsen-Buchen­wald. Neben Buchen und Eichen sind im Pfälzerwald - vor allem im Wasgau - auch Tannen- und Kiefernmischwälder heimisch. Inzwischen beträgt der Anteil von Buchen- und Eichengesellschaften im Pfälzerwald nur noch knapp 45 Prozent. Dagegen ist die Kiefer mit rund 40 Prozent stark überrepräsentiert. Auch Fichten und die nordamerikanische Douglasie haben einen beachtlichen Anteil am Pfälzerwald erobert. Sie sind vor allem die „Brotbäume“ für die Forstwirtschaft: Schnellwüchsig und mit gutem Ertrag. Allerdings können sie sich auch nur durch die Unterstützung der Förster gegen die Baumkonkurrenz durchsetzen und überleben. Sie sind standortfremd, vor allem in Monokulturen auch sehr anfällig für Schädlinge und Krankheiten. Sie bieten anderen Tier- und Pflanzenarten kaum Lebensraum und sind ästhetisch trostlos. Für sie gilt Robert Musils Spottdefinition von Wald, als „meistens aus Bretterreihen bestehend, die oben mit Grün verputzt sind.“

Je vielfältiger, natürlicher und artenreicher der Wald, desto vielfältiger und artenreicher das Leben, das ihn erfüllt. Untersuchungen in den Wälder der Lüneburger Heide haben beispielsweise ergeben, dass in Kiefernaltbeständen mit Laubholzunterstand doppelt so viele Vogelarten und dreimal so viele Vogelindividuen brüten, wie in vergleichbaren unterholzarmen Kiefernaltbeständen.

Luftschadstoffe aus Kraftwerken, Automotoren und Verbrennungsanlagen aller Art überschatten die Zukunft der Wälder. Es ist noch nicht abgemacht, ob der Wald am Ende nicht doch der „Raubameisenmentalität“ des Menschen zum Opfer fallen wird. Weit über die Hälfte aller Bäume sind im Pfälzerwald durch Umweltgifte schwer geschädigt und in ihrer Lebensfähigkeit herabgesetzt. Wenn es dennoch in vierzig oder fünfzig Jahren in der Pfalz noch Wälder geben sollte, werden sie näher an natürlichen Wäldern orientiert sein. Nach dem Willen der Landesforstverwaltung soll der Anteil der Laubbäume wieder kräftig steigen, sollen Monokulturen durch Mischwälder abgelöst werden. Es wird sogar Urwälder geben, wenn auch nur auf kleinster Fläche: Dreizehn „Naturwaldzellen“ wurden im Pfälzerwald auf Geheiß der Landesforstverwaltung ausgewiesen. Auf einer Fläche, die sich mit 80 Hektar noch recht gering ausnimmt, darf der Wald zugunsten von Forschung und Naturschutz ungestört von Motorsäge, Freischneider, Unimog und Giftspritze wuchern und modern.

Die Haltung der Forstverwaltung zu den zu den ganz kleinen „Naturwaldzellen“ - den überwucherten Westwall-Ruinen - ist gespalten. Während einige Forstämtern bei der Bundesvermögensverwaltung auf die Beseitigung der Bunkerruinen drängen, gehören andere Forstbeamte zu Vorkämpfern ihrer Erhaltung. So der südpfälzische Förster Armin Osterheld oder der Leiter des Forstamtes Schaidt, Klaus Bohlander. Bohlander möchte sich vom Bundesvermögensamt Landau sogar zwei Ruinen überschreiben lassen. Ein Bunker - nahe der Rodungsinsel Büchelberg im südpfälzischen Bienwald - fasziniert ihn als Kulturdenkmal: Bei der Sprengung wurde die tonnenschwere Betondecke im senkrechten Winkel über die Ruine gestellt. Das Innenleben des Bunkers liegt nun offen zutage. Man kann den Grundriss wie an einem Querschnitt erkennen. An einem zweiten Bunker, ganz in der Nähe, hat Bohlander den Braunstieligen Streifenfarn entdeckt, der sonst im Bienwald nicht vorkommt. Außerdem hat ein Dachs seine Höhle in dem Betonunterstand bezogen. - Ein Hinweis auf die wichtige Rolle der Waldbunker für die Säugetiere. Je mehr die Naturfelsformationen durch Tourismus und Kletterer unter Druck geraten, desto mehr werden die kleinen „Ersatzfelsen“ als Ausweichquartier genommen. So nimmt man an, dass die Westwallrelikte eine wichtige Rolle als Deckung, Unterschlupf und Relaisstation für die scheue Wildkatze spielen. Die weitgehend ausgestorbene Wildkatze ist im Pfälzerwald noch auf der Jagd. Unter Biologen kursieren Thesen, wonach die Bunkerruinen wesentlich an der Ausbreitung der Wildkatze im Grenzland beteiligt sind. Professor Günter Preuß jedenfalls hat im Schnee des Öfteren Spuren der bis zu über einem Meter großen „Felis silvestris“ an Westwalltrümmern gefunden. Allerdings an rückwärtigen Versorgungsbunkern im Innern des Pfälzerwaldes bei Leimen, Merzalben und Johanniskreuz, wo die Felsen nicht so zahlreich sind, wie im Wasgau. Der Wärme liebenden Katze mit dem charakteristischen buschigen Schwanz kommen die nach Südwesten ausgerichteten Bunker als Sonnenspeicher sehr entgegen.

In den Überbleibseln von „Deutschlands Sicherheit in Stahl und Beton“ (Hitler) fühlt sich der Fuchs ebenso geborgen, wie seine potentielle Beute, die Waldspitzmaus. Größere frostfreie Hohlräume werden von den Fledermäusen als Überwinterungsquartier genutzt. Allerdings ist die Bedeutung der Ruinen in felsenlosen Wäldern wie dem Bienwald sehr viel größer, als im Felsenmeer des Wasgaus.

Trotzdem sind die ehemaligen Bunker - so sehen es Ökologen - eine Strukturbereicherung für die Forstwälder. Sie lichten den Wald auf, bieten mit ihren wuchernden Sträuchern so etwas wie ein Waldrand mitten im Wald, haben offene Bodenflächen, was für viele Insekten von Bedeutung ist, und schützen mit ihren kleinen, verwitternden Betonschluchten Boden brütende Vögel. „Im Sandsteinbereich spielen sie außerdem wegen der im Beton erhaltenen Mineralien die wichtige Rolle von inselartigen Sonderlebensräumen, die im nährstoffarmen Sandstein sonst nicht vorhanden sind,“ ergänzt Professor Preuß. In erster Linie Flechten und Moose sprechen auf den Kalk und die Phosphate im Westwall-Beton an. Die Trümmer schaffen so Brückenköpfe für fünfzehn bis zwanzig Flechtenarten, schätzt der Experte Dr. John vom Pfalzmuseum für Naturkunde. Diese sind wiederum Nahrungsgrundlage für bestimmte Schmetterlingsraupen und erhöhen so die Vielfalt der Tierwelt im Grenzgebiet. Genaue Untersuchungen gibt es darüber freilich nicht, wie überhaupt vieles an der Ökologie der Waldbunker noch im Dunkeln liegt.

Stollen: Schutz für Fledermäuse und Amphibien

In den alten Wehrmachtsstollen wurden früher Waffen, Munition, Verbandsmaterial und Lebensmittel gelagert, sie sollten vor Luftangriffe schützen, oder Kampfanlagen unterirdisch verbinden. Einige von ihnen stehen heute noch im Dienst der US-Armee. Gut ausgebaut hüten sie auch Atomsprengköpfe und chemische Kampfstoffe. Der Rest wurde nach dem Krieg gesprengt oder verfiel. Die schwarzen Löcher, die hinter Bäumen, Büschen und Gräsern gähnen, sind ein gewohntes Bild für Wanderer im Grenzland.

Die halbzerfallenen Mündungen führen geradewegs in den Bauch der Erde. Auf Abenteurer, Neugierige und Spinner, die nach nicht vorhandenen Waffen und Schätzen suchen, üben sie einen geheimnisvollen Sog aus. Doch wer hier seine Abenteuerlust befriedigt, riskiert es erschlagen oder verschüttet zu werden. Die Felsbrocken und Schutthaufen in den Gängen zeigen, dass die Höhlen brüchig sind. In manchen Stollen gibt es Abstürze oder senkrechte Schächte, die im Extremfall einige hundert Meter tief sein können.

Nicht nur auf Menschen wirken die alten Stollen anziehend. Mehrere hundert Tierarten sind in den schützenden Untergrund gegangen. Sie interessieren sich für die besonderen Lebensbedingungen, die in der Unterwelt herrschen. Da ist zunächst die konstante Temperatur. Sommers wie winters, Tag wie Nacht ist es gleich bleibend kühl aber frostfrei: Fünf bis zehn Grad Celsius. Wasser rieselt an den Decken herab, Grundwasser steht am Boden und erzeugt eine hohe Luftfeuchtigkeit. Dazu, die ständige undurchdringliche Dunkelheit. Pflanzen gedeihen unter diesen Verhältnissen kaum, nur Algen, Flechten und Moose im dämmrigen Eingangsbereich, Pilzrasen an den Wänden im Inneren. Dafür ist das Tierleben außerordentlich reichhaltig. Dieter Weber, von der Höhlenforschergruppe Karlsruhe, hat in pfälzischen Westwallstollen beispielsweise Springschwänze, Baldachinspinnen und Flohkrebse gefunden. - Arten, die auf das Höhlenleben spezialisiert sind und mehr oder minder ständig in den Stollen lebenNacht- oder dämmerungsaktive Tiere finden tags­über Unterschlupf in den Schächten, zu ihnen gehören beispielsweise die Nachtfalter. Hochbetrieb herrscht aber vor allem in der Wintersaison: Grasfrösche, Grünfrösche und Bergmolche nutzen die frostfreien Hohlgänge zur Überwinterung. Der häufigste und standorttreueste Winterfrischler ist der Feuersalamander. Bis zu 22 Salamander wurden in Wehrmachtsstollen rund um Pirmasens gefunden. Manche von ihnen leben bis zu 10 Jahren in „ihrem“ Stollen und werden so zu wahren Amphibien-Methusalems.

Für die einzigen Säugetiere der Erde, die je das Fliegen gelernt haben, sind die unterirdischen Gänge von existentieller Bedeutung: Die Fledermäuse. Ihr Name täuscht, mit Mäusen haben die Fledertiere nichts gemein, sie sind keine Nager. Falsch sind auch die Horrorvorstellungen von den „Blutsaugern der Dunkelheit“ mit denen die Fledermäuse Pate bei Graf Dracula standen. Die 22 in Deutschland vorkommenden Fledermausarten sind allesamt harmlose und fleißige Insektenjäger. Eine Wasserfledermaus von gerade 10 Gramm Gewicht vertilgt pro Nacht zwischen 300 und 580 Insekten. Eine Kolonie von 50 Tieren schafft somit 14 bis 29 Kilogramm Mücken, Kleinschmetterlinge, Köcherfliegen und dergleichen mehr. Größere Fledermausarten wie das Mausohr, mit einer Körperlänge von sechs bis acht Zentimetern und einem Gewicht bis zu 45 Gramm, brauchen entsprechend mehr. Jürgen Gebhard berichtet von einer Kolonie mit 800 Mausohren, die in einer Nacht 55 000 Eichenwickler verzehrt haben sollen. (Jürgen Gebhard, „Unsere Fledermäuse“, Veröffentlichungen des Naturhistorischen Museum Basel).

Fledermäuse sind geschickte und äußerst wendige Flieger. Die größten unter den einheimischen Arten haben Flügelspannweiten von um die 40 Zentimetern, die klein­ste Art, die Zwergfledermaus, kommt gerade auf die Hälfte. Abendsegler können Fluggeschwindigkeiten von 50 Stundenkilometern erreichen, andere, wie etwa die Langohren, sind fähig im Rüttelflug auf der Stelle zu stehen und Insekten von Blättern und Mauern zu klauben. Manche Fledermausarten sind standortgebunden, andere legen weite Strecken zwischen Sommer- und Winterquartier zurück. Abendsegler können mehr als 1500 Kilometer ziehen. In Kaiserslautern wurde 1972 ein Abendsegler gefunden, der ein Vierteljahr zuvor in der DDR beringt worden war.

Einmalig und faszinierend ist das Orientierungssystem der Flugsäuger. Tagsüber fallen die Fledermäuse in eine Schlaflethargie. Erst in der Abenddämmerung und in der Nacht gehen die Fledermäuse auf die Jagd. Sie sind dabei in der Lage, sich in absoluter Dunkelheit sicher zu bewegen, denn sie orientieren sich per Echolot. Im Kehlkopf erzeugen sie Ultraschallaute, die über über Nase oder Mund ausgestoßen werden. Der zurückgeworfene Schall liefert ihren hochempfindlichen Ohren exakte Hörbilder von ihrer Umwelt. Einige Arten sind dabei in der Lage selbst Drähte von 0,08 Millimetern Stärke wahrzunehmen. Die Ortungslaute liegen in der Regel über 18 Kiloherz und sind daher für Menschen unhörbar, obwohl sie sehr laut sein können. Es wurden schon Schallpegel von über 100 Dezibel gemessen. Mit bis zu 100 Signalen in der Sekunde wirft die Fledermaus ihr akkustisches Netz über die Beute, spürt sie auf, erkennt sie und bringt sie zur Strecke. Ein hervorragendes Ortsgedächtnis hilft ihr bei der Jagd.

Aber selbst ihr fabelhafter Orientierungssinn konnte sie nicht davor bewahren, an den Rand des Aussterbens gebracht zu werden. Heinz Wissing, Fledermaus-Experte aus Ilbesheim in der Südpfalz, konnte in der Pfalz bisher 17 Fledermaus-Arten nachweisen. Davon müssen drei Arten als bereits ausgestorben gelten. Die Kleine Hufeisennase konnte zum letzen Mal im Sommer 1976 im Kreis Pirmasens nachgewiesen werden, die Große Hufeisennase zum letzten Mal im Winter 1980, die Mopsfledermaus fand Wissing in den letzten 10 Jahren nur ein einziges Mal in einem tiefen Betonspalt im Eingangsbereich eines gesprengten Wehrmachtsstollen. Aber auch bei allen anderen Arten ist ein erschreckender Rückgang zu beobachten. So wurden in einem südpfälzer Stollen 1962 noch 63 Individuen von 8 Fledermausarten gefunden, 1976 waren es nur noch 10 Individuen von 3 Arten. Dieses Beispiel ist exemplarisch. Alle heimischen Fledermausarten stehen auf der Roten Liste der vom Aussterben bedrohten Tiere.

Der Mensch hat den Fledermäusen mit der abwechslungsreichen Kulturlandschaft der vergangenen Jahrhunderte einen optimalen Lebensraum geschaffen. Viele Fledermausarten ziehen ihre Jungen direkt in menschlichen Behausungen, in Dachstühlen, Glockentürmen, Scheunen und Ställen groß. Nun kehrt sich die Entwicklung um.

Wie kaum eine andere Tierart leiden die Flugsäuger unter heimischen Giften. Ihre Belastung mit Chemikalien liegt im Schnitt um 20 bis 400 mal höher als bei anderen Kleinsäugern. Insektenvertilgungsmittel verknappen ihre Nahrung und reichern sich in ihrem Körperfett an. Tödlich ist die Verwendung von chemischen Holzschutzmitteln bei der Renovierung von Dachstühlen. In toten Fledermäusen wurden bis zu 500 Milligramm Lindan pro Kilogramm Körpergewicht gefunden, ein hochgiftiger Chlorkohlenwasserstoff (Hexachlor­cyclohexan). Völlig unnötig, denn mit der Heißluftkonservierung gibt es eine wirksame und ungiftige Methode des Holzschutzes.

Bauliche Maßnahmen rauben den Fledermäusen ihren Lebensraum. Das Verschließen von Dachböden, Scheunen und Ställe führt zum Verlust der Sommerquartiere und Wochenstuben. Fledermäuse, die in Baumhöhlen leben, leiden darunter, dass es in den modernen Wirtschaftswäldern kaum noch alte und hohle Bäume gibt.

Umso wichtiger ist es, daß die Wehrmachtsstollen erhalten bleiben. Sie sind das Winterquartier für die meisten Fledermausarten. Vom Spätherbst bis ins Frühjahr halten sie in der Unterwelt ihren Winterschlaf, manche frei an der Decke hängend, andere in Spalten und Schründen verborgen. Ihre Körpertemperatur sinkt auf null bis zehn Grad Celsius, Atmung und Kreislauf sind verlangsamt. Beim Mausohr wurden Atempausen bis zu 90 Minuten festgestellt! In diesem Stadium sind die Tiere äußerst empfindlich gegen Störungen. Zum Aufwachen benötigen sie eine große Menge Energie. Deshalb gehen die Tiere unweigerlich ein, wenn sie mehrmals aus ihrem Winterschlaf gerissen werden. Schon der bloße Höhlentourismus ist im Winter fatal für die Flugsäuger. Lagerfeuer, Zigarettenrauch und Berührung können ihr Ende bedeuten.

Da es im Umkreis von Pirmasens verhältnismäßig viele Stollen gibt, nimmt die Region bei Fledermäusen offenbar eine Sonderstellung ein. Heinz Wissing hat in der Pfalz rund 400 überwinternde Fledermäuse gezählt, davon 269 allein im Kreis Pirmasens. Die äußerst seltene Wimpernfledermaus fand Wissing in zuletzt fünf Exemplaren nur im Wasgau. 10 Jahre lang hingen sie jeden Winter in immer dem gleichen Stollen in immer der gleichen Deckenvertiefung.

Ein wirksamer Schutz der Winterquartiere könnte wesentlich zur Erhaltung der faszinierenden Tiere beitragen. Dr. Hubert Roer, Fledermaus-Experte des Museum Alexander König in Bonn, verweist auf eine Bunkeranlage in Westpolen, die von den polnischen Naturschutzbehörden inzwischen unter Schutz gestellt worden ist. In ihr überwintern mehr als 10 000 Fledermäuse aus 11 Arten. Geschützt wurde, so Roer, auch eine Bunkeranlage an der niederländischen Küste, in der die sehr seltene Teichfledermaus ihr Winterquartier bezieht. In der Bundesrepublik gibt es seit 1981 einen „Fledermauserlass“ des Bundesfinanzministers. Demnach sollen Öffnungsschlitze von 10 mal 40 Zentimetern dafür sorgen, dass Amphibien und Fledermäuse weiterhin Zugang zu den Hohlgängen haben, wenn die Stollenmundlöcher aus Sicherheitsgründen zubetoniert werden.

Somit sind sich Naturschützer und Vermögensämter eigentlich im Grundsatz einig: Die Stollen müssen vor Neugierigen gesichert, die Tierwelt im Untergrund aber gleichzeitig geschützt werden. Trotzdem tobt auch hier die Auseinandersetzung zwischen beiden Seiten. Die Naturschützer lehnten lange Zeit Betonplomben an den Eingängen der Schächte abSie fürchteten eine nachteilige Veränderung des Kleinklimas in den Stollen und wollten zudem die Entwicklung des Fledermausbestands kontrollieren. Deshalb forderten sie eine Sicherung durch massive Gittertore. Damit konnte sich wiederum die Oberfinanzdirektion nicht anfreunden: „Verschließbare Gittertüren werden aufgebrochen oder sonst wie beschädigt. Damit wird das Ziel der Gefahrenbeseitigung nicht erreicht. Außerdem wären die Türen fortlaufend zu kontrollieren und wiederholt zu reparieren, verursachen also Aufwand, Zeit und Mehrkosten.“  Erst eine Stollensicherung bei Battweiler sorgte für eine Entspannung der Fronten. Dort wurden in den Betonpfropfen nicht nur Flugschlitze sondern auch ein schmaler Durchschlupf für Menschen eingelassen, der mit einer Stahltür gesichert ist. Der Deutsche Bund für Vogelschutz kontrolliert im Winter den Stollen und stellte fest, dass er weiterhin von den Fledermäusen angenommen wird.

Für einen weiteren Streitpunkt sorgen die Bergbauingenieure der Oberfinanzdirektion, deren Zunft ohnehin als wenig sensibel für Umweltprobleme verschrien ist. Sie fordern die Totalverfüllung von Stollenanlagen bei Höhfröschen und Busenberg. Begründung für die 200 000-Mark-Maßnahmen: Einsturzgefahr. Die Naturschützer halten dieses Risiko für tragbar, falls die Eingänge gesichert werden. Oberirdisch habe ein eventueller Einsturz durch die Auflockerung des Gesteins und des Erdreichs im Normalfall keine Auswirkungen. Inzwischen beschäftigen die Stollen in Busenberg und Höhfröschen schon seit über einem Jahr das Bundesbauministerium in Bonn und das Umweltministerium in Mainz, das hier nach eigener Aussage „die Belange des Artenschutzes mit Nachdruck vertreten“ will.

Die Totalverfüllung von Stollen machte bereits vor einigen Jahren Schlagzeilen: Das Staatsbauamt Kaiserslautern hatte 1982 Stollen am Rodalberhof und bei Dellfeld als Mülldeponie genutzt. Auf Vorschlag des Bergbauingenieurs der Oberfinanzdirektion Saarbrücken waren die Schächte mit Flugasche aus dem saarländischen Kohlekraftwerk St. Barbara II in Bexbach verfüllt worden, die wasserlösliche Salze und Schwermetalle enthielt. Ganz in der Nähe des Stollens am Rodalberhof bei Pirmasens liegt das Wasserschutzgebiet im Rodalbtal.

Die Zukunft des Westwalls

Die Debatte um die Bedeutung der Westwall-Ruinen für die Tier- und Pflanzenwelt ist an der Bundesvermögensverwaltung nicht spurlos vorüber gegangen. War bei den ersten Zusammentreffen zwischen Bunkerverwaltern und Naturschützern die Stimmung gereizt bis aggressiv, so hat sich die Diskussion heute deutlich entspannt. Der Tonfall ist beiderseits konzilianter geworden.

Dazu beigetragen hat das „Kooperationsabkommen“, das im Frühjahr 1985 zwischen dem Umweltministerium Rheinland-Pfalz und der Oberfinanzdirektion in Koblenz vereinbart wurde. Seitdem werden die Landespflegebehörden an den Verfahren zur Gefahrenbeseitigung beteiligt. „Die Landespflegebehörde“, so Hasso Behling von der Oberfinanzdirektion Koblenz, „hat Gelegenheit an der Besichtigung der gemeldeten Objekte teilzunehmen und kann dabei ihre Wünsche, Anregungen, Vorschläge im Interesse des Naturschutzes äußern.“ Die Landespflegebehörde kann ihrerseits die anerkannten Naturschutzver­bände oder den Landespflegebeirat zu dem Behördenauftrieb in Feld und Flur hinzuziehen.

Der Grundkonflikt bleibt aber trotz des Kooperationsabkommens bestehen. Was eine Gefahr ist und was nicht, das entscheidet alleine die Vermögensverwaltung. In dieses Definitionsmonopol lassen sie keine Landespflegebehörde und erst recht keinen „wild gewordenen Naturschützer“ hineinpfuschen. Überdies sieht sich die Oberfinanzdirektion in einem engen rechtlichen Korsett. Hasso Beling verweist auf ein Urteil des Bundesgerichtshofs, der - als Folge eines tödlichen Unfalls in einem stillgelegten Bergwerksstollen im Saarland - „ganz bestimmte und streng zu beachtende Grundsätze betreffs der Absicherung stillgelegter Stollen“ aufgestellt habe.

Insofern ist die Position der Landespflege und des Naturschutzes eine Position der Ohnmacht. Sie können im Höchstfall beeinflussen, wie eine „Gefahrenbeseitigung“ durchgeführt wird, sie können aber keinesfalls durchsetzen, dass der betreffende Bunker oder Stollen unangetastet bleibt.

Gleich geblieben ist auch das Bestreben der Bundesbehörden, sich das Problem möglichst ein für alle Mal vom Hals zu schaffen. In der Regel wird bei Bunkern als „Gefahrenbeseitigung“ die vollständige Zertrümmerung vorgeschlagen, bei Stollen ist es nicht selten die totale Verfüllung. Die „konkrete Gefahrenbeseitigung“, also etwa das Abtrennen herausstehender Moniereisen, ist die Ausnahme geblieben. Sie wird meist nur bei bereits übererdeten Bunkern angewendet, wenn beispielsweise Einspülungen oder Einbrüche wiederaufgefüllt werden.

Die Naturschützer bleiben dementsprechend unzufrieden. In einem Brief an den vormaligen rheinland-pfälzischen Umweltminister Klaus Töpfer listete der Vorsitzende des BUND-Pirmasens, Kurt Langguth, seine Kritik an der „Gefahrenbeseitigung“ penibel auf:

„Die Landespflegebehörden,“ so Langguth, „sind mit der Beurteilung der be­troffenen Anlagen in der Regel überfordert. Eine ökologische Gewichtung der Anlage erfordert die Bestimmung von beispielsweise Moosen, Farnen und Pilzen, die nur von Spezialisten in langwieriger Arbeit vorgenommen werden kann. Den Landespflegebehörden steht aber kein Untersuchungsmaterial und schon gar keine faunistische oder floristische Kartierung der Ruinen zur Verfügung.

Hinzu kommt, daß die Begehungen zum Teil vor Beginn der Vegetationsperiode abgehalten wurden und von daher jede seriöse Beurteilung unmöglich war.“

Dem stehe gegenüber, so Langguth weiter, dass die Vermögensämter kategorisch den Nachweis von seltenen Pflanzen und Tieren fordern, wenn die betreffende Ruine erhalten werden soll.

Auch Professor Günter Preuß, erster Vorsitzender der Pollichia, findet die derzeitigen Verhältnissen „immer noch nicht befriedigend.“ Er ärgert sich darüber, daß „die Bundesbehörden lange Zeit so getan haben, als wenn der Paragraph 3 des Bundesnaturschutzgesetzes, in dem alle Behörden und öffentlichen Stellen zum Naturschutz verpflichtet sind, für sie nicht existiert.“

So sieht das Landespflegerecht beispielsweise vor, dass bei Eingriffen in den Naturhaushalt, Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen vorgenommen werden müssen. Vereinfacht dargestellt heißt das, wer einen Baum fällt, muss an anderer Stelle wieder einen Baum pflanzen. Die Vermögensämter fühlen sich zu Ausgleichsmaßnahmen aber nicht verpflichtet. Sie ziehen sich darauf zurück, dass die Ruinen eine akute Gefahr darstellen, vergleichbar etwa einem morschen Ast, der über eine Straße hängt. Dass viele dieser „akuten Gefahren“ bereits seit 30 Jahren existieren, spielt dabei keine Rolle.

Den Frust der Naturschützer versuchen die Bundesbehörden durch bauliche Kompromisse zu dämpfen. So werden beispielsweise Bunkerhohlräume erhalten und durch den Einbau von Röhren für Klein- und Kriechtiere zugänglich gemacht. Die zerkleinerten Trümmer werden nicht mehr vergraben, sondern zu „Steinlesehaufen“ aufgeschichtet. Den vorhandenen Bewuchs versprechen die Behörden weitestgehend zu schonen.

In der Praxis führen diese Kompromissversuche oft zu neuem Unmut. So etwa nach einer Bunkerzertrümmerung bei Pirmasens-Winzeln. Eine Röhre, als Hohlraum erschließende Maßnahme gedacht, ragt dort knapp einen Meter über den Erdboden hinaus, - zum Hochsprungtraining für Kriechtiere, wie die Naturschützer spotten. Ärger gab es auch nach einer Stollenversiegelung bei Fischbach. Das Rohr, das Fledermäusen weiterhin freien Zutritt gewähren sollte, wurde so dilettantisch verlegt, dass es schon nach dem ersten Regenguss versandete. In anderen Fällen kam der Bewuchs, der zur Erhaltung vorgesehen war, unter die Räder der Baumaschinen.

Schluss

Um die Westwall-Trümmer wird bei den zahlreichen Besichtigungsfahrten hart gefeilscht. Finden Vermögensverwaltung und Landespflegebehörden vor Ort trotz allem keinen Kompromiss, wird das Verfahren auf der Behördenleiter nach oben geschoben: Von der Kreis- oder Stadtverwaltung zur Bezirksregierung, von dort zur Landesregierung.

Seit knapp zwei Jahren wird so zwischen dem rheinland-pfälzischen Umweltminister auf der einen Seite und dem Bundesfinanzminister sowie dem Bundesbauminister auf der anderen Seite über das Schicksal zweier Stollenanlagen bei Busenberg und Höhfröschen verhandelt. Die Mainzer wollen die Anlagen als Überwinterungsquartier für Fledermäuse erhalten, die Bonner fordern kategorisch die totale Verfüllung.

Der einzige Ausweg aus der Malaise: Die Stollen sind zu verschenken. Die betroffenen Dörfer haben es bisher allerdings abgelehnt, das Weltkrieg-II-Erbe einfach einzugemeinden. Man sei zwar sehr daran interessiert, die Stollen erhalten zu wissen, meint dazu Höhfröschens Ortsbürgermeister Manfred Hunsicker, aber die finanziellen Risiken schrecken die kleinen Gemeinden mit ihrem schmalen Budget. Die Hohlgänge sollen zwar auf Kosten der Vermögensverwaltung verplombt und mit Flugschlitzen und Kriechröhren für die tierischen Kellerkinder versehen werden, wer zahlt aber die Zeche, falls der Stollen etwa nach der Übernahme zusammenbricht und neu gesichert werden muss?

So werden die zerfallenen Schächte in der Westpfalz wohl in Landeseigentum übergehen. Die Landesregierung hat versprochen besondere Westwall-Objekte zu übernehmen und ist entschlossen, das Versprechen in Busenberg und Höhfröschen einzulösen. Zuvor verlangt das Umweltministerium allerdings die „Torkretierung“ der Stollen. Das heißt, für die unterirdischen Röhren wird ein Betonmantel geschneidert, der ihre Stabilität dauerhaft sichert. Danach können, so Ministerialrat Klaus Gienandt, die westpfälzischen Fledermäuse unter Verantwortung der Landesregierung dunkel und frostfrei überwintern. In Busenberg ist man sich schon handelseinig, die Stollen bei Höhfröschen sind immer noch ein Streitobjekt.

Auch die Naturschützer bemühen sich um die Übernahme verschiedener Westwall-Anlagen. So möchte sich der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) eine besonders schön bewachsene Bunkerruine bei Maßweiler einverleiben. Dazu mehrere Stollen in der Umgebung von Pirmasens: Im Gersbachtal, in der Nähe der Rehmühle und am Stefanshof. Die Bundesvermögensverwaltung ist grundsätzlich bereit, dem Naturschutzverband die gewünschten Objekte zu überschreiben. Aber die Angelegenheit entpuppt sich mehr und mehr als ein Behördenmarathon. Der Bunker bei Maßweiler steht auf Grundstücken in Privatbesitz. Der BUND kann - so die Bedingung des Bundesvermögensamtes Landau - die Ruine nur übernehmen, wenn er gleichzeitig das betreffende Grundstück kauft. Bei drei verschiedenen Eigentümern keine einfache Aufgabe, außerdem muss das Grundstück auf Kosten des Verbandes neu vermessen werden. Die Stollen befinden sich in Waldgelände, das der Stadt Pirmasens beziehungsweise dem Staatsforst gehört. In beiden Fällen muss sich der BUND ein „Zuwegerecht“ erwerben, das im Grundbuch eingetragen wird. Bislang weigert sich die Stadt Pirmasens den Umweltschützern den Weg freizumachen. Sie fürchtet, dass sie durch die Hintertür doch noch für die Stollen haften muss. Der Stollen am Stefanshof gehört zum Forstamt Eppenbrunn. Forstdirektor Ernst Müller hätte grundsätzlich nichts dagegen, den Naturschützern das Zugangsrecht zu gewähren. Über solche Anträge muss jedoch die Forstdirektion in Neustadt entscheiden. Wie deren Votum ausfällt, steht noch in den Sternen. In Hofstätten scheiterte die Übernahme eines Bunkers an der Weigerung des Forstamtes Johanniskreuz, das betroffene Grundstück zu verkaufen oder die Ruine im bisherigen Zustand weiterhin zu dulden.

Die „Verkehrssicherungspflicht,“ die mit der Übernahme der Stollen und Bunker automatisch an den neuen Eigentümer fällt, drückt die Umweltschützer noch am wenigsten. Sie haben bereits eine Haftpflichtversicherung für die Objekte abgeschlossen. Die Konditionen für den Versicherungsschutz sind etwa mit denen für Wochenendgrundstücke vergleichbar.

Angesichts des Aufwands kann die Umwandlung der Ruinen zu verbandseigenen „Naturschutz-Bunkern“ nur eine Ausnahme bleiben, darin sind sich alle Beteiligten einig. Der Bund für Umwelt und Naturschutz Pirmasens forderte deshalb von den betroffenen Ministerien in Bonn und Mainz, die Gefahrenbeseitigung an den Ruinen einzustellen, bis das Landesamt für Umweltschutz eine naturkundliche Kartierung durchgeführt hat.

Aber sowohl Umweltminister als auch Finanzminister lehnten die Einstellung der Gefahrenbeseitigung unter Hinweise auf die geltende Rechtslage ab. Umweltminister Klaus Töpfer zeigte allerdings Verständnis für die Forderungen des Umweltverbands: „Trotz meiner intensiven Bemühungen finden die Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege bei der Gefahrensicherung an ehemaligen Wehrmachtsanlagen noch immer nicht die aus meiner Sicht notwendige Beachtung,“ schrieb Töpfer in einem Brief an den BUND-Pirmasens.

Was passieren müsste, damit der Naturschutz endlich die „notwendige Beachtung“ bei den Bunkerverwaltern findet, ist dem Brief des Ministers leider nicht zu entnehmen. Armin Osterheld, Förster auf dem Forstamt Lindelbrunn, sieht die Chance nur in einem radikalen Schnitt: Die Landespflegebehörden bei den Stadt- und Kreisverwaltungen sollten die Trümmer übernehmen und als Naturdenkmale ausweisen. Die Millionen, die jährlich für die Bunkerplanierung ausgegeben werden, will der Förster in eine Stiftung einbringen. Von den Zinsen könne man, meint Osterheld, die Unterhaltungskosten und eventuelle Schadensersatzansprüche lässig finanzieren.

Setzen sich die Vorstellungen des Forstbeamten durch, wäre der Weg des Westwalls vom waffenstarrenden Bollwerk zum Öko-Reservat vollendet. Vielleicht können sich auf lange Sicht auch die Kommunen dafür begeistern, statt Luftschutzbunkern und Militärdepots, Bunker für bedrohte Pflanzen und Tiere zu besitzen.

 

Quelle: Andreas Fußer, veröffentlicht in einer Zeitungsserie für „Die Rheinpfalz“, 1987


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